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Testimonies in German


My very first NT

Mein allererstes NT

Hiermit erzähle ich eine kleine Kindheitsgeschichte, die mit dem Neuen Testament zusammenhängt.  

Es liegt alles viele Jahre zurück. Es war im Frühjahr 1947, da holte mich mein Vater von der Insel Föhr ab, nachdem er aus französischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden war. Die Gefangenen mussten ein Entlassungsziel angeben, und so nannte mein Vater den kleinen Ort Wensin in Schleswig-Holstein. Dieses kleine Dorf besteht nur aus einem Gutshof und liegt 10 km westlich von Bad Segeberg. Bis dorthin war mein Onkel Fritz, ein älterer Bruder meines Vaters, mit Pferd und Wagen von Ostpreußen aus hingekommen. Er hatte auf dem großen Gutshof sogleich eine Arbeit gefunden – er wurde dort zum „Herrn der Schweine“.

Ich wohnte damals zusammen mit meiner Tante Lina, meiner Cousine Rena und einer weiteren Tante Marie (= Halbschwester der Tante Lina, die wiederum eine Halbschwester meiner Mutter war) in einem einzigen Zimmer eines Kaufhauses. Dieses Kaufhaus steht noch heute auf der Insel Föhr am Südstrand in der Osterstraße. Unten befand sich das "Kolonialwarengeschäft" – so nannten sich damals solche Lebensmittelgeschäfte. Und oben im zweiten Stock wohnten wir in beengter Weise. Als mein Vater mich dann von Föhr abholte, verabschiedete ich mich von dem Kaufmann. Er gab mit eine Tüte Bonbons als Abschiedsgruß von Föhr mit. Ich weiß es noch heute, es waren runde rote Bonbons in einer spitzen Papiertüte. Dann wohnten wir etwa 6 Wochen auf dem Gutshof Wensin, wo damals auch viele andere Flüchtlinge einquartiert waren. Die großen Zimmer dieses Gutshofes waren mit Stellwänden versehen, so dass auf diese Weise etwa 4 bis 6 Familien in einem großen Raum untergebracht werden konnten. Kannst Du Dir das einmal ganz praktisch vorstellen? Wenn einer mal hustete, hörten das gleich alle anderen mit.  

Wegen der vielen Flüchtlingsfamilien, die nach der Flucht aus Ostpreußen und anderen Ostgebieten auf dem Gutshof einquartiert worden waren, gab es auch entsprechend viele Kinder. Auf dem großen Platz vor dem Herrenhaus, das einem Schloss nicht unähnlich sah,  trafen wir Kinder uns immer wieder ein.

Eines Tages brachte einer der Jungen ein Fahrrad mit. Niemand sonst hatte damals ein Fahrrad. Natürlich wollten wir alle mal mit dem Fahrrad fahren. Aber dieser glückliche Besitzer des Fahrrads ließ nur dann einen anderen fahren, wenn man ihm irgendetwas dafür gab. Mein einziger Besitz war damals diese Tüte mit den roten Bonbons. So gab ich dem Fahrradbesitzer einen einzigen Bonbon, und dafür durfte ich dann einmal um den Platz fahren. Zu damaliger Zeit haben wir Jungens alles Mögliche getauscht. Und so hatte ein Junge ein kleines Büchlein zum Tauschen mitgebracht. Ich kam mit ihm ins Geschäft, indem ich ihm einige meiner leckeren Bonbons zum Tausch gegen das Büchlein gab. Ich habe damals nicht geahnt, was ich da getauscht hatte. Es war ein Neues Testament. Welch einen Schatz hatte ich erworben für ein paar lumpige Bonbons! Beide ahnten wir nicht, worum es sich da bei dem Büchlein handelte.

Von Wensin aus ging mein Vater dann mit mir – wir waren der nach Flucht und Vertreibung übrig gebliebene Rest der Familie – nach Saaße (2 km von Lüchow entfernt in Niedersachsen), um auf einem Bauernhof zu arbeiten. Dort nahm ich dieses Büchlein zur Hand und wollte darin lesen, aber ich verstand gar nichts. Matthäus habe ich als Matt Häus (von Haus) gelesen. Erst viel später, es war während der Zeit des Konfirmandenunterrichts, habe ich dann doch darin gelesen. Wenn es als Hausaufgabe galt, ein paar Bibelverse auswendig zu lernen, dann nutzte ich dieses Neue Testament.

Heute ist dieses kleine Neue Testament (9,5 cm x 6,5 cm x 1,2 cm) für mich etwas sehr sehr Kostbares. Es ist mein erstes Neues Testament überhaupt, und weiterhin verbindet sich damit auch ein Stück Kindheitsgeschichte. Ein paar Fotos, die ich jetzt gemacht habe, geben einen optischen Eindruck von diesem Kleinod.  

Werner Gitt